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Was zur Hölle ist eigentlich eine Komfortzone? 

Lesedauer // reading time 7 Min.

Als ich hinter einem Fremden auf dem Motorrad saß, mich mit einer Hand festhielt und mit der anderen den Helm klammerte, ist mir was aufgefallen: Ich war entspannt, sogar in dieser schrägen Situation. Ich hab die letzten beiden Tage völlig außerhalb meiner Komfortzone verbracht, bis zu dem Punkt, dass das passiert ist. Was zu Hölle ist den eigentlich eine Komfortzone? 

Ich sollt wohl am Anfang anfangen. Du meinst vermutlich, dass alleine zu reisen schon außerhalb der Komfortzone ist. Ja, natürlich, das ist es auch. Aber ich bin nun seit 3 Wochen unterwegs, und gewisse Dinge sind mittlerweile Normalität geworden. Ich kann auf jemanden zugehen und ein Gespräch anfangen. Ich kann überall duschen oder auf‘s Klo gehen, auch wenn die Tür nicht versperrbar ist, und es ist auch schon normal, das Klopapier nicht ins Klo zu werfen. Ich kann in einer fremden Stadt spazieren und Unterhaltungen auf Spanisch führen, ohne mir blöd vorzukommen, wenn ich ein Wort nicht kenne oder nicht alles verstehe. 

Am Anfang der Reise waren all diese Dinge ziemlich schräg. Mittlerweile denk ich gar nicht mehr drüber nach. Ich glaub, die Komfortzone ist genau das – alles, was sich normal anfühlt, kommt in einen Topf, einmal kurz umrühren – das war‘s. Wenn man bis zur Maximum-Linie kommt, ist alles darüber ein bisschen außerhalb der Komfortzone – all das, wo man schon ein bisschen aufpassen muss beim Umrühren, dass es nicht überschwappt. 

Es ist komisch, weil umso näher man an den Rand kommt, umso größer wird der Topf. Und er wächst immer weiter, je mehr man hinzufügt. Wenn man dann jedoch wieder ein „normales“ Leben führt, ohne aus sich herauszukommen und Tag für Tag kalkulierte Risiken einzugehen, schrumpft er auch wieder – und das schnell. Vielleicht gibt‘s ja so eine Art magischen Komfortzonen-Topf. 

Nun fragst du dich bestimmt, was das alles mit dem Anfang der Geschichte zu tun hat und was passiert ist, dass ich jetzt ganz entspannt fast von einem Motorrad falle, ohne mir Gedanken darüber zu machen, dass das schräg ist. Ich sag‘s dir. 

Ich hab dir von Medellín erzählt, von der Geschichte der Stadt. Danach bin ich nach Cartagena geflogen – eine schöne Stadt, ganz viel los, und es ist so krass heiß und schwül. Erst wollte ich Weihnachten in Cartagena verbringen, aber ich hab meine Pläne geändert. Ich war grad dran, meine Daten in die Buchung des neuen Hostels einzugeben, als eine Freundin aus dem vorigen Hostel ankam. Sie meinte, sie fährt an einen abgelegenen Strand, und ich kann gern mitkommen. Also drehte ich meine Pläne, mit denen ich immer noch nicht ganz happy war, nochmal um, und buchte prompt eine Unterkunft in derselben Gegend. 

Als ich um 4 Uhr nachmittags dort ankam, war schon total die Party am laufen. Wie komisch, das war nicht, was ich erwartet hatte – wohl wieder versehentlich ein Partyhostel gebucht. Die Unterkunft meiner Freundin ist viel ruhiger, also aßen wir dort zu Abend und gingen dann noch zu mir auf ein Bier. Wir feierten mit einem Haufen Latinos bis 1, tanzten Merengue und tranken Aguardiente (das ist Kolumbien‘s typischer Anis-Schnaps oder was auch immer, schrecklich wenn du mich fragst). 

Am nächsten Tag ruhte ich mich gut aus, las mein Buch in der Hängematte am Strand, und ging früh zu Bett. Der Tag darauf würde anstrengend werden: Ich hatte was Besonderes vor. 

Erstmal musste ich mit einem Mototaxi zum Eingang des Tayrona Nationalparks fahren. Das dauerte ungefähr 20 Minuten, kostete mich 3€. Der Fahrer hatte sogar einen zweiten Helm mit – der allerdings so groß war, dass ich ihn mit einer Hand festhalten musste. Das Visier hat gefehlt, deshalb musste ich hoffen, dass mir nix ins Auge kommen würde und einfach so gut wie möglich atmen, trotz des starken Windes. 

Ich frühstückte grad beim Einfang als ich mehr oder weniger zufällig meine Freundin wieder traf. Wir starteten den Weg gemeinsam, liefen durch den Dschungel, und sahen fast sofort Affen und komische große Ratten, staunten über die Pflanzen, die wir zuhause schon umgebracht haben, die hier einfach im Großformat draußen wachsen, und versuchten unser bestes, an den Schlangen von Leuten vorbeizukommen. Wenn du mich kennst, weißt du, dass ich ziemlich Schiss hab vor allem, was schnell ist und sich in keiner geraden Linie bewegt – also quasi vor allem, was hier im Dschungel so keucht und fleucht; Eidechsen, Motten, was auch immer. Und Schlangen, natürlich, die Teile kann ich ja nicht mal im Fernsehen angucken. Rat mal, wo die gern leben? 

Wir liefen entlang von Stränden voller Leute, und leeren Stränden – weil da wohl über 100 Leute wegen den starken Strömungen gestorben sind. Wir fanden eine schöne, ruhige Bucht, weit weg von den starken Strömungen, und waren schon im Wasser – nachdem wir irgendwie unsere Körper aus der völlig verschwitzten Kleidung rausgeholt haben, ohne halb Südamerika zu flashen. Wenn du mich kennst, weißt du, dass im Meer schwimmen auch ganz weit außerhalb meiner Komfortzone ist. 

Irgendwann sah ich, dass einer meiner Gelsenstiche eine Art Blase drüber hatte. Ich zeigte es meiner Freundin, brach die Blase auf und beobachtete angeekelt, dass es nicht aufhört zu wassern. Dann lachten wir über den Gedanken, dass hier vielleicht etwas wachsen könnte. Wir wussten nicht, was es war, und ich glaube nicht, dass da wirklich was drin wächst, aber es ist eindeutig komisch. Ich hatte übrigens, vor allem anfangs, sehr viel Angst vor den Moskitos hier. 

Wir waren hungrig und der Sonnenuntergang kam immer näher, also gingen wir zurück zur Unterkunft. Ich duschte, zog dieselben Klamotten nochmal an, auch die Socken, und ging zum Restaurant. Weißt du, was es hier auf der vegetarischen Karte gab? Einen Cesar Salad mit Hühnchen. Ich entschied mich für den gebratenen Reis mit Gemüse, weil ich wirklich nicht weiß, wie die Leute hier Hühner auf Bäumen wachsen lassen. Als Dessert bestellte ich etwas, was als „Käse mit heißem Karamell“ übersetzt war. Ich dachte, es wäre eine Art Käsekuchen. Naja, es waren ein paar Blätter Gouda, halb geschmolzen, mit Karamell dazwischen und einer Kirsche obendrauf. Ich werd das nicht nochmal bestellen. 

Müde wie wir waren, gingen wir früh zu Bett – naja, zur Hängematte. Ich schlief in einer Hängematte, mit einem Dach überm Kopf und nichts als Natur um mich herum – und ein Moskitonetz, natürlich. Anfangs liebte ich es, ich schlief sofort ein, lauschte den Geräuschen des Dschungels und der Wellen am nahegelegenen Strand. Ich wachte um ca. 1 Uhr nachts auf, weil es so kalt war. Ich hatte keine warmen Schichten mit, mein Handtuch war noch nass. Ich streckte mich aus, hüllte mich in die Hängematte wie in einen Kokon, aber viel half es nicht. Ich wachte immer und immer wieder auf, konnte kaum mehr schlafen. Um 5.30 standen einige Leute auf, meine Freundin und ich ebenso. Wir gingen durch den dunklen Dschungel für ein paar Minuten, bis wir am Strand ankamen, und beobachteten den (wenig spektakulären) Sonnenaufgang. Es war fast keiner da, es war wirklich cool. 

Nach dem Frühstück gingen wir wieder zurück in den Ort. Die Strände, die gestern so überfüllt waren, waren jetzt fast leer, wir sprangen direkt ins Wasser. Dann trennten sich unsere Wege – meine Freundin würde noch eine Nacht bleiben, ich musste zurück. Ich wollte nicht wirklich denselben Weg zurücklaufen, also nahm ich ein Pferd. Es war ohnehin wieder mal Zeit. 

Der Guide, ich und ein anderes Mädchen – das war die Crew. Wir gingen los, und trabten und galoppierten bald durch den Dschungel. Bis wir nicht mehr konnten. Ich dachte, die Pferde müssten bestimmt eigene Pfade haben, weil einige Abschnitte sogar zu Fuß schon schwierig waren: Glitschige Steine, über / um die man sich bewegen muss, manche Stellen so schmal, dass ein Pferd niemals durchpassen würde. Ich lag falsch. Wir gingen genau den gleichen Weg. 

Ehrlich gesagt, ich machte mir fast in die Hose. Ich dachte an all die Leute, die noch nie auf einem Pferd saßen, und das hier zum ersten Mal machten. Niemals. Die Pferde waren sehr sicher und gut auf dem Untergrund, aber sie stolperten und rutschten immer wieder. Der Guide hatte wohl einen ziemlichen Stress, denn er trieb die Pferde immer weiter an. Manche Stellen waren total krass steil, rauf und runter, ich wusste nicht, dass ein Pferd das gehen könnte, schon gar nicht mit mir oben drauf. Ein paar Mal entkam mir ein kleiner Schrei, als ich dachte, das war‘s jetzt. Ich vertraute dem Pferd, das wusste offensichtlich, was es zu tun hatte, und konzentrierte mich einfach darauf, mich mit dem Tier zu bewegen und so wenig Last wie möglich zu sein. 

Als wir endlich angekommen waren, schauten das andere Mädchen und ich uns an, beide schwerst schockiert. Sie fragte, ob ich Lust hätte, bis zum Eingang zu laufen, oder ob ich den Bus nehmen wollte. Ich meinte, ich würd schon gern gehen, also gingen wir. Sie sprach nur spanisch. Also musste ich mein Gehirn wieder aktivieren, und mein bestes geben, sie zu verstehen und kurze Antworten zu geben. Als wir liefen, merkte ich, dass die Unterhaltung sich geändert hatte – ich sprach nun fast genauso viel wie sie, stellte Fragen, stimmte ihr zu, erzählte ihr, wie ich Kolumbien finde und wie es sich von Österreich und dem Rest von Europa unterscheidet. Sie war Geografin, also hatten wir genügend Gesprächsstoff, sie erzählte mir viel über die Kolumbianische Geografie, indigene Stämme und Geschichte. 

Ich war bis auf die Knochen nass, mit Schweiß. 30 Grad und 85% Luftfeuchtigkeit lassen dich gefühlt schmelzen. Egal – ich stieg in den Bus, der völlig voll war, also stieg ich wieder aus, fragte die Dame beim nächsten Shop, wo ich ein Mototaxi herkriegen würde. Ich wartete geduldig, bis der Typ vorm Shop fertig damit war, zu hupen und irgendwas in viel zu schnellem Spanisch zu rufen, dankte der Dame als sie meinte, er hätte mir grad ein Taxi gerufen, und wechselte die Straßenseite. Ich stieg auf das Motorrad, hinter einen Typen, den ich noch nie zuvor gesehen hab, von dem ich nicht mal wusste, ob der wirklich offiziell ein Fahrer ist. Wieder brauchte ich eine Hand für den Helm und eine klammerte sich ans Motorrad, als wir mit 120 Sachen die Hauptstraße runter rasten. Ich antwortete dem Security-Typen am Eingang, wer ich bin – natürlich in Spanisch – hoppste runter und lief zu meinem neuen Hostel, als hätte ich nie was anderes gemacht. Wie eine Königin. Nein, weißt du was? Wie eine Bichota – mein Lieblingswort in Kolumbien. Heißt wohl sowas wie „Powerfrau“. Das berühmteste Beispiel ist Karol G. 

Ich werd jetzt die letzten paar Stunden Ruhe hier am Strand genießen, alleine, vielleicht einen Cocktail oder zwei am Pool trinken – wir hören uns in gut einer Woche oder so, ich hab was großes vor. Bleib dran!

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