Nach 5 Wochen in Kolumbien kann ich sagen, dass das Land das volle Programm mit mir fährt. Kolumbien kann ein völliges Chaos sein – bzw. ist es eigentlich immer – aber man gewöhnt sich recht schnell dran. Ich persönlich find es sogar ganz angenehm, wenn man von vornherein weiß dass etwas nicht wie geplant laufen wird. Manchmal geht das aber doch ein bisschen zu weit…
Die letzten 2 Wochen verlief wenig nach Plan. Von meiner Brandblase, die sich entzündet hat, dem Dschungeltrekking im Tropensturm und den Straßensperren danach hab ich dir ja schon erzählt. Nun, dabei ist es nicht geblieben. Lass mich dich updaten.
Also erstmal fühlte ich mich vom Antibiotikum als wäre ich im 14. Monat schwanger. Das macht schon mal alles anstrengender, langsamer und weniger lustig. Dann war ich noch in einem Nachtbus, der wirklich fein war, aber dennoch ist schlafen im Bus nur halb so gut wie schlafen im Bett.
San Gil ist die Abenteuer-Hauptstadt von Kolumbien. Rafting, Caving, Bungeejumping… was immer das Adrenalin-Herz begehrt, hier wirst du fündig. Außer Skifahren, dafür ist es ungefähr 30 Grad zu warm.
Die meisten dieser Aktivitäten kann ich mit meiner immer noch offenen Wunde nicht machen. Was kein Problem ist, Adrenalin mag ich ohnehin nicht. Aber der Jacuzzi im Hostel oder ein paar der Wasserfälle wären schon verlockend gewesen, um reinzuspringen.
Na gut. Was macht man also in der Abenteuerhauptstadt, das den Adrenalinspiegel niedrig hält? Richtig, man wandert. Ich nahm also den erstbesten Bus nach Barichara, angeblich – und ich kann’s meiner Erfahrung nach nicht wirklich abstreiten – das schönste Dorf des Landes. Eigentlich wollt ich nur schnell frühstücken und dann nach Guane gehen, aber rate mal, was ich zufällig gefunden hab? Wieder richtig: Sauerteigbrot.
Nichts geht schnell in Kolumbien. Bis ich also mein Frühstück hatte, war es schon 10, wann ich spätestens aufbrechen wollte, um der Mittagshitze zu entkommen. Aber nach so langer Zeit ohne gutem Brot musste ich nachbestellen. Ich hab mit dem Chef des Cafes gesprochen. Ich sagte ihm, dass ich Österreicherin bin und biiiiiitte noch ein bisschen mehr von dem Brot möchte. Das war wohl das beste Kompliment, das ich jemals jemandem gemacht hab, der Typ war richtig aus dem Häusschen. Fast niemand hier kennt Österreich, aber er schon – Brot bring die Leute wohl auf seine eigene Art und Weise zusammen.
Die Wanderung / der Spaziergang nach Barichara war demnach heiß. Aber schön! Anfangs war ich recht unsicher, hatte Angst, Kühne, bösen Straßenhunden (bisher noch keine gefunden) oder sonst was zu begegnen. Nach 10 Minuten kam mir ein älterer Herr entgegen, der seine paar Zähne zeigte und das freundlichste „Buenaaaas“ durch die Lücken lispelte. Da wusste ich, hier ist alles gut.
Auf ca. halber Strecke überholte ich einen Typen, der grad Fotos machte. Ich sagte nur Hi und ging weiter. Wenige Minuten später dasselbe Spektakel, nur umgekehrt. Nachdem ich ohnehin schon das Gefühl hab, Leute unterwegs immer auf schräge Weise kennenzulernen – beim Zähneputzen, umziehen, stolpern, Klotür nicht absperren, oder laut „Scheisse“ fluchen – dachte ich mir nicht viel, schaute den Kerl schockiert an und fragte ihn, ob er mich denn verfolge.
Wir gingen den Rest des Weges gemeinsam, erkundeten Guane, nahmen den holprigsten Bus zurück nach Barichara und verweilten dort noch kurz. So groß die Verführung auch war, ich aß nicht noch mehr Brot… hätte ich aber vermutlich sollen. Am besten gleich einen großen Laib als Proviant einpacken.



Einen Tag hatte ich noch (brotlos) in San Gil, und es gibt nicht wirklich viel zu tun, außer eben Abenteuer. Beim Abendessen zückte eine Australierin eine argentinische 2-Peso-Münze – dort ist alles in den 1000ern, 2 Pesos sind also quasi nicht mehr als unnützes Gewicht, aber schwer zu finden – auf einer Seite eine Sonne, auf der anderen Seite die 2. „Bei Sonne wirst du die morgen berühren, und bei 2 wirst du Geld sparen“, sagte sie mir. Worum es ging? Ob ich paragleiten würde oder nicht.
Natürlich landete die Münze auf der Sonnenseite. Und ich halte mein Wort, also hab ich gebucht. Und konnte vor lauter Schiss kaum an etwas anderes mehr denken.
Als ich am nächsten morgen aufwachte, fiel mir sofort ein, was heute sein würde – und los ging’s mit dem höheren Blutdruck. Ich war so nervös, ich zappelte nur sinnlos herum und wartete, dass wir losfuhren. Nochmal: In Kolumbien geht nichts schnell und nichts ist pünktlich. Die anderen Leute aus der Gruppe waren alle, bis auf eine, mega gechillt.
Wir fuhren also los in den Chicamocha Cañon, den größten Canyon Kolumbiens. Ich frag mich immer noch, ob die Autofahrt dort über die Schotterpisten oder der Flug gefährlicher war. Die Aussicht war jedenfalls immer schön.
Schließlich war ich an der Reihe. Mein Pilot, Santiago, machte das seit 16 Jahren, ich war also definitiv in guten Händen. Der Start verlief richtig gut! Wer mich kennt, weiß, dass ich immer Geräusche mache, hier also nicht anders, aber bald waren wir in der Luft und es war richtig cool! Bis wir das erste Luftloch erwischten und ich dachte, jetzt geht‘s senkrecht runter.
Aus mir heute unerklärlichen Gründen dachte ich, dass paragleiten ruhig, schön, entspannend wäre. Aber man wird dort oben ganz schön durchgeschüttelt. Im einen Moment dreht es einen richtig nach oben, dann fällt man wieder mal ein Stück, dann rüttelt der Wind von der Seite rein, dann zwirbelt man sich nach oben…
Ich hab draufgezahlt und mich entschieden, eine GoPro mitzunehmen. Ich werd das vermutlich nur einmal im Leben machen, also brauche ich Beweise. Nun, ganz so toll sind die Fotos nicht. Aber Beweise sind sie trotzdem.
Santiago‘s Versuche, mich zu beruhigen, schlugen alle fehl. Ich konnte mich nicht mit ihm unterhalten, weil es unmöglich war, noch irgendeine Sprache zu sprechen, geschweige denn Spanisch. Wenn er wieder lachte und „relaaaaax“ sagte, schrie ich nur zurück „ICH KANN NICHT“. Der muss sich wohl auch seinen Teil von mir denken.
Wenn es mal kurz ruhig war, genoss ich die Aussicht tatsächlich. Davon gibt‘s aber leider kein Foto, und das nächste Luftloch war nie weit entfernt. Tastächlich hab ich mich wohl so an den Gurt geklammert, dass mir beide Arme bis zu den Schultern eingeschlafen sind.
Ich bin froh, dass ich es gemacht hab, das auf alle Fälle. Aber nochmal? Unwahrscheinlich 😀





Am nächsten Tag machte ich mich auf zur Bushaltestelle. Man sagte mir, dass die Busse ca. alle halbe Stunden fahren würden, und ich nicht vorher buchen müsste. Well, falsch gedacht. Erst wurde mir gesagt, dass der nächste Bus in 3 Stunden käme. Bei einem anderen Unternehmen wurde ich dann gestresst, weil der Bus quasi jetzt schon fahren würde – und dann war er doch eine Stunde später erst da.
Das Beste an Kolumbien ist, dass es sehr touristisch ist, aber dennoch einfach, lokale Erfahrungen zu machen. In dem Bus zum Beispiel war ich die einzige Touristin.
Alles lief gut, wir machten eine Pause, um zu Mittag zu essen – die anderen aßen, ich kuschelte inzwischen mit den Straßenhunden – und weiter ging‘s. Kurz darauf nicht mehr. Plötzlich standen wir am Straßenrand, und das Chaos ging los. Jeder schrie rum, manche liefen raus aus dem Bus, die Fahrer schienen total gestresst zu sein und telefonierten lautstark mit irgendwem.
Irgendein Teil ist gebrochen und wir konnten nicht mehr weiterfahren. Es war Sonntag, also gab es wohl keine Mechaniker und auch keine Ersatzbusse. Einer der Fahrer machte sich auf den Weg in die nächste Stadt, während wir warteten – auf ihn, auf einen Ersatzbus, auf Infos, was auch immer.
Erst würden wir ca. eine Stunde benötigen. Dann 2, dann gab es keine Angaben mehr. Wir warteten und warteten, unterhielten uns, lachten ein bisschen, sahen den Sonnenuntergang. Taxis fahren sonntags wohl auch nicht zwischen zwei Städten.
Irgendwann gab ich es auf, dass ich es noch nach Villa de Leyva schaffen würde, und buchte ein Hotel in Tunja, wo ich umsteigen hätte sollen. 4 Stunden später kam schließlich der Fahrer mit einem Ersatzteil zurück, und kurz danach konnten wir weiter.
Als ich schließlich in meinem Hotel in Tunja ankam, war es 11 Uhr abends, ich war seit 12 Stunden unterwegs.
Am nächsten Morgen war ich endlich auf dem Weg nach Villa de Leyva – aber nicht, ohne dass mir der Herr, der mir das Busticket verkauft hat, durch die halbe Station nachgerannt ist, weil ich in die völlig falsche Richtung losgeirrt bin.
Nach insgesamt 25 Stunden – anstatt 6 – kam ich schließlich an. Zuhause unvorstellbar, vor allem ohne Geld zurück oder sonstige Entschädigung, aber hier wohl ganz normal. Und ganz ehrlich? Passt ja. Am Ende ist alles gut verlaufen. Und so hab ich noch ein bisschen mehr gesehen, ein paar mehr nette Leute kennengelernt – als wir so lange warten mussten, rief eine der Passagiere plötzlich meinen Namen und reicht mir ein Stück Kuchen, dass sie weiter hinten für mich gekauft hatte – und die Leute im Hostel hier haben mir nichts für die Nacht verrechnet, sondern die einfach hinten angehängt. Und die eine Nacht im Hotel für 20€ war auch nicht schlecht, endlich mal alleine im Zimmer, eigenes Bad MIT WARMWASSER, und ein großes Bett.




was ist das zauberwort: geduld? langmut? gelassenheit? ruhe?
der bus wird irgendwann weiterfahren. mit betonung auf IRGENDWANN.
ja, in solchen situationen lernt man geduld haben. und demut, wenn diejenigen, die nach unserem empfinden „nix“ haben, dieses „nix“ von herzen gern teilen. man lernt dankbarkeit zu empfinden für freundliche gesten oder hilfe, die einem zuteil wird, wenn man sie wirklich braucht.
zeit ist kein faktor mehr, kein zauberwort.
letztlich lernt man, dass sich immer alles findet, wenn mal nix so läuft, wie man’s im kopf hat. auf das „zackzack“ kann man vergessen. und DAS ist doch was sehr tröstliches.
bussi deine amelia
wow, super schön formuliert! genau so ist es 🤍