Cali. Die Welt-Hauptstadt des Salsa, und je nach Statistik/Quelle ungefähr auf Platz 24 der gefährlichsten Städte weltweit. Die Kriminalitäts- und Mordrate ist erschreckend hoch, und ich hatte doch ein bisschen Bammel davor, wie es wohl werden würde.
Ursprünglich wollte ich nicht nach Cali, weil ich von einigen Reisenden und auch Kolumbianern gehört hab, dass es einfach nicht sicher ist. Es war also an der Zeit, meine Ausreise zu planen, aber ich bin so verliebt in das Land, dass ich noch etwas länger bleiben wollte – und ich kann nicht fast 2 Monate in Kolumbien sein, ohne zumindest versucht zu haben, tanzen zu lernen. Ich hatte eine Mission, also ging‘s ab an den besten geeigneten Ort.
Nach der ersten Gruppenstunde im Salsa war mir einmal mehr bewusst, wieso mich mein Trainer daheim als „Bewegungslegastheniker“ bezeichnet… am Abend war ich noch mit ein paar Leuten in einer Salsa-Bar, was das noch mehr bestätigte, und ich hatte so Schiss, dass ich es raus und rauszögerte, meine Privatstunden zu buchen.
Lass mich dir erst von den Salsa-Bars erzählen. Also, die sind richtig cool! Ich stell mir das so vor, wie vor 20-30 Jahren – die Leute verabreden sich, kommen dorthin, oft auch allein. Keiner betrinkt sich oder wirft sich sonst was, keiner schaut aufs Handy. Du existierst einfach nur, guckst anderen Leuten beim Tanzen zu, und laufend kommt irgendjemand, der dich um einen Tanz bittet. Meistens lehnte ich panisch ab – die eine Hälfte der Typen hat das akzeptiert und ist weitergezogen, die andere Hälfte lachte, schnappte meine Hand und zog mich auf die Tanzfläche.
Hier interessiert es niemanden, ob du tanzen kannst oder nicht. Nein, Lüge – es interessiert die Leute tatsächlich. Aber nicht, weil sie die Augen verdrehen und/oder dich auslachen, sondern weil sie es dir unbedingt beibringen wollen. Jeder einzige, mit dem ich getanzt hab, hat mich ermutigt, gelobt wenn mal was gepasst hat, und geduldig versucht, mir ein paar neue Schritte zu zeigen oder bekannte Schritte zu festigen.



Schluss mit dem Rauszögern. 3, 2, 1, los! Ich ging zum Mädel an der Rezeption und sagte „du, ich glaub ich brauch Tanzstunden.“ Ihre Antwort: „Oh, ja, bitte!!“ Entschuldigung?? Ich dachte, die ist echt nett, aber hab ich gestern Abend echt so schlecht getanzt? „Oh, nein, nein, nein, so war das nicht gemeint“ – sie wollte mir wohl nur sagen, dass sie auch welche nötig hätte. Gut.
Sie stellte mir meinen Tanzlehrer vor, Camilo, und eine Stunde später ging‘s schon los. Noch nie in meinem Leben hab ich mich so unwohl gefühlt. Erstens komm ich vom Muay Thai, wo man bloß niemals seine Hüften bewegt und wo die Schultern immer am Kinn kleben. Zweitens stehst du in einem Raum, allein mit einem fremden Typen, der dich ganz genau beobachtet. Es fühlt sich falsch an, sich im Spiegel zu beobachten, man kann aber auch nicht den Profe die ganze Zeit anschauen und der Boden ist auch wenig interessant… Worauf hab ich mich da bloß eingelassen?
Camilo hat vorgeschlagen, dass wir am nächsten Tag eine Stunde Salsa und eine Bachata machen – er meinte, es ist zwar anders, kann aber gut helfen, beides zu lernen. Warum auch nicht.
Well, Bachata tanzt man eng. Sehr eng. Das war mir fast noch unangenehmer als die erste Salsa-Stunde, aber mittlerweile hab ich das Thema mit dem Spiegel/Boden schon überwunden zum Glück und ein recht gutes Verhältnis zum Prof entwickelt, wir quatschten immer wenn wir die einfacheren Schritte wiederholten und lachten gemeinsam, wenn ich wieder mal was überhaupt nicht geschnallt hab.
Ich muss zugeben, dass es besser gelaufen ist, als gedacht. Ich dachte wirklich, dass ich einfach unfähig bin, zu tanzen, dass ich das niemals lernen würde. Aber nach einigen Stunden und ganz viel Training am Abend fühlte ich mich dann doch schon recht sicher in den Schritten und find an, es richtig zu mögen. Solang ich nicht Hände, Füße und Hüften gleichzeitig koordinieren muss…
Wenn ich zu meiner ersten Tanzstunde des Tages auftauchte fragte mich Camilo immer, ob ich gestern Abend noch geübt hab. Wenn ich nein sagte, schimpfte er mit mir und meinte, dass das so nix wird, ich muss heute Abend unbedingt weggehen.
Und plötzlich war es Freitag – der Tag, an dem ganze Straßen in Cali abgeriegelt werden. Der Tag, an dem niemand zu Hause ist. Die ganze Stadt ist auf der Straße, mit Instrumenten und Lautsprechern, und tanzt. Ich hab noch nie so viele Leute auf einem Ort gesehen – teilweise kam man fast nicht durch. Die Musik dröhnte in den Ohren. Die Leute sangen mit, klopften auf ihre Trommeln und Glocken, schüttelten die Rasseln, und tanzten.
Ich hab eine alte Frau beobachtet, die am Straßenrand in einem Plastiksessel schlief. Als das Lied spielte, das wohl am bekanntesten und beliebtesten ist, stand sie auf, sang laut mit, und schlief direkt nach dem Chorus wieder weiter.
Wir waren eine recht große Gruppe von Touristen aus dem Hostel, vielleicht 25 Leute, aber es ist nicht aufgefallen – wir waren mitten unter den Locals und Touristen aus anderen Teilen Kolumbiens. Manche kamen, um Hallo zu sagen und mit ein paar von uns zu tanzen. Andere wollten ihr Englisch üben, Fotos machen oder sonst was.
Wenn eine ganze Stadt in einer Straße zusammenkommt und tanzt, wenn die Trommeln 3 Tage später noch in deinen Ohren nachklingen, dann bewegt sich der Körper wohl von selbst. Es ist faktisch unmöglich, dort zu sein, und nicht zu tanzen. Die Tatsache, dass so viele Leute dort sind, macht es vielleicht auch einfacher – keiner sieht wirklich, was du machst, weil es so gesteckt voll ist.
Profi-Tipp: Zieh keine Sandalen an. Das war der Fehler des Tages.

Ich war tagsüber allein unterwegs. Nachts auch zu Fuß, aber immer mit Einheimischen. Ich war in Taxis, Ubers, Märkten, Bars. Mit den klassischen Regeln, no dar papaya (das Motto in Lateinamerika, also quasi zeig einfach nicht, was du hast), hab ich mich nie unsicher gefühlt.
Vor allem nachts gibt es doch einige Obdachlose und Bettler, die schon mal ein bisschen aufdringlicher sein können, und denen möchte man nicht so gern allein begegnen. Tatsächlich ist eine Woche bevor ich gekommen bin ein Mädchen direkt vorm Hostel von jemandem angegriffen worden, mit einer Pistole, und sie wurde ausgeraubt. Das ist die traurige Realität, es kann eben immer passieren.
Auf dem Rückweg vom Markt sind wir durch ein paar Straßen eines recht schwierigen Viertels gelaufen. Man merkt sofort, dass hier etwas anders ist. Niemand außer Obdachlose ist auf der Straße, schon gar keine Frauen. Es ist dreckig, die Häuser sind heruntergekommen, nirgends spielt mehr Musik, es gibt wenige bis keine Läden. Die Obdachlosen betteln hier mit Spritzen in der Hand um Geld für „Essen“. Ohne einen Kolumbianer wär ich da im Leben nicht hin. So war es okay, es war auch gegen Mittag, also noch recht sicher – man muss hier definitiv sein Umfeld im Hinterkopf behalten und immer auf Habt Acht stehen. Es war gut, die Realität mal richtig zu erleben. Und schon bogen wir um eine Ecke und waren wieder mitten im Trubel vom Cali, wie ich es kannte – Ein Laden um den nächsten, überall spielt Musik, Frauen mit Kindern laufen auf der Straße, alte Herren verkaufen Zigaretten, Lottoscheine und Lollies aus einem Bauchladen, am Straßenrand wird an Motorrädern geschraubt.
Der Kontrast ist traurig, spannend, krass. Es ist gut, das wahre Leben eines großen Teiles des Landes zu sehen. Jede Vierte Person in Kolumbien hat nicht genug zu essen. Und diese Personen müssen eben auch wo sein – und irgendwie überleben. Die haben‘s wirklich nicht leicht. Natürlich sind Drogen ein großer Faktor und ein wichtiger Grund für Obdachlosigkeit. Aber urteile nicht zu schnell – wenn Drogen, die einen vergessen lassen, dass man Hunger und eine Menge anderer Probleme hat, billiger sind als Essen, ist der Weg in dieses Leben eben sehr einfach…



