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Wie die Menschen eine ganze Nachbarschaft veränderten und bitte kauf keine Chiquita-Bananen 

Lesedauer // reading time 7 Min.

Kolumbien befindet sich im Krieg. Seit über 70 Jahren. Umso mehr ich darüber gelernt hab, umso interessierter wurde ich. Lass mich versuchen, dir zu erklären, wie die Leute in einem vom Krieg zerissenen Land immer noch positiv denken und wie es die Menschen ohne Hilfe von außen geschafft haben, ein barrio (Viertel) vom gefährlichsten Ort – nicht in der Stadt, nicht in Kolumbien, sondern auf der ganzen Welt – zum sichersten Ort in Medellín zu machen. 

Viele Faktoren spielen hier eine Rolle. Ich hab mir immer mitnotiert, wenn ich etwas Neues gelernt hab, und noch einiges weiter recherchiert. Das ist ein sehr sensibles Thema, und aufgrund von deiner und meiner Zeit, muss ich natürlich einiges weglassen. Ich versuche hier, dir die Eckdaten zu vermitteln, was in diesem wundervollen Land passiert. Wenn du willst, recherchier gern selber oder komm und beobachte selbst, aber bitte denk immer dran, dass das hier sehr stark runtergebrochen ist und eine sehr verkürzte und vereinfachte Version der Realität darstellt. Denk auch dran, dass ich hier keine Zeitschiene beachte, und dass sich die einzelnen Faktoren gegenseitig mehr oder weniger stark beeinflussen und überschneiden. 

Faktor 1: Politik

Die kolumbianische Regierung war, und ist es teilweise immer noch, korrupt. Wie jede Regierung, würd ich mal sagen. Es gibt einen starken Kontrast zwischen links und rechts, was das ganze System instabil macht und somit den Aufstieg bewaffneter Gruppen begünstigte.

Faktor 2: Ungleichheit

Geld. Es gibt die reiche Elite und die arme Mehrheit. Arme Leute haben oft keine Wahl, wie sie ihr täglich Brot verdienen. 

Rassismus spielt auch eine große Rolle. Die indigene Bevölkerung ist gewöhnlich weniger akzeptiert. Hellere Hautfarbe bedeutet meist Reichtum und Respekt. Wenn man zurückschaut, kamen die weißen Menschen in der Kolonialzeit aus Europa, nahmen den indigenen Stämmen ihr Land und ihre Kultur weg, hielten sich für überlegen. Schwarze Menschen kamen als Sklaven aus Afrika oder von indigenen Stämmen und waren damals, wie leider auch heute noch oft, als weniger wertvolle Menschen betrachtet. 

Faktor 3: Landbesitz

Vor allem die Menschen in ländlichen Gegenden sind arm. Oft gehört ihnen nur ein kleines Stück. Land oder sie dürfen das Land von jemand anderem bebauen – meistens im Gegenzug für das Stellen von oder die Arbeit als Soldaten. Du kannst dir also schon denken, dass dieser Faktor stark mit dem zweiten zusammenhängt und die sich gegenseitig beeinflussen. Trotzdem, ist es so wichtig, dass es eigens genannt werden sollte. 

Faktor 4: Drogenschmuggel

Jetzt sind wir da, worauf du gewartet hast, nicht wahr? Das potente weiße Pulver ist sicherlich eines der ersten Dinge, an die Europäer denken, wenn sie von Kolumbien hören. Das Klima hier ist perfekt, um Coca anzubauen, das übrigens bis heute eine heilige Pflanze für viele indigene Stämme ist – die Pflanze selbst hat kaum Wirkung außer kulturell und medizinisch, bis man es mit Kalzium mischt und Kokain entsteht. Das hier ist übrigens auch wo Chiquita, Coca Cola, Nestlé und Co. dazukommen – darüber erzähl ich später mehr. Wie auch immer, Drogen kommen mit Kartellen und Gangs, was ein weiteres Problem darstellt. 

Faktor 5: US-Intervention

Nachdem die USA der größte „Abnehmer“ von kolumbianischem Kokain sind, schritten die vereinigten Staaten irgendwann ein. Es waren einige Organisationen involviert, manche offiziell, andere private Killer. Private Killer bedeutet im Grunde, dass sie von der Regierung beauftragt werden, aber sich an keine Gesetze halten müssen. Wenn etwas schiefgeht, ist die Regierung nicht verantwortlich, weil sie die Leute nicht offiziell angestellt haben. 

Ich weiß nicht annähernd genug über das Thema. Wenn du interessiert bis, bitte recherchier selbst weiter. Es spielt sicher eine Rolle, aber ich weiß nicht, wie groß. Und natürlich gibt es auch hier zwei Seiten, und gut und schlecht ist immer subjektiv. 

Faktor 6: Bildung

Damit du in Kolumbien einen legalen Beruf ausüben darfst, braucht du ein gewisses Level an Schulbildung. Viele Leute können sich das nicht leisten oder hatten aus anderen Gründen keine Möglichkeit, zur Schule zu gehen, also waren illegale Jobs stark gefragt. Das war natürlich dann meistens Arbeit in Gangs, Kartellen, oder vielleicht auf die Guerilla-Gruppen. Es gibt kaum illegale Jobs als Straßenverkäufer oder Kellner. 

Faktor 7: Paramilitärische vs. Guerilla-Gruppen

Lass mich mehr über den eigentlichen Krieg in Kolumbien erzählen. Es kämpfen paramilitärische gegen Guerilla-Gruppen. Wie ich das verstanden hab, sind die paramilitärischen Gruppen meist weiße, reiche Menschen, die in irgendeiner Form (innoffiziell, natürlich) auch von der Regierung unterstützt werden, weil sie ähnliche Interessen pflegen. 

Die Guerilla-Gruppen entstanden als Widerstand dagegen. Das sind die armen, meist dunkelhäutigen Menschen.

Die paramilitärischen Gruppen unternahmen eine soziale Säuberung. Was ist denn das für ein widerliches Wort? Heute ist jede einzelne Person in diesem Land direkt oder indirekt vom Krieg betroffen. 

Faktor 8: 6.402

Große Zahl, nicht? In Kolumbien hat diese Zahl eine sehr besondere Bedeutung. Es ist die Anzahl von unschuldigen Zivilisten, die von den paramilitärischen Kräften ermordet wurden. Sie nennen es falsche Positive. Irgendetwas passiert, man muss einen Verantwortlichen finden. Also schnappen sich die paramilitärischen Gruppen jemand aus den kleinen, abgelegenen Dörfern, stecken sie in militärische Uniformen, und erschießen sie. Diese Opfer waren keine Soldaten. Sie sahen nur auf den Fotos so aus. 

Vor ein paar Jahren wurden solche Fälle noch im Militärgericht behandelt. Du kannst dir sicher vorstellen, dass da wenig passiert ist. Mittlerweile gibt es einen eigenen Gerichtshof, wo diese Fälle in viel größerem Ausmaß abgewickelt werden. Generäle, Soldaten, Zivilisten – jeder, der dabei war – schwört, die Wahrheit zu sagen. Es gibt Geschichten von weinenden Generälen, die sich bei den Familien für ihre Taten entschuldigten, bevor sie ins Gefängnis gebracht wurden. Sie haben die Menschheit über ihre eigene Würde gestellt. 

Faktor 9: Geld und Macht

Vermutlich gäbe es keinen einzigen Krieg, wenn es nicht Leute gäbe, die zu viel von diesen beiden Dingen wollen, oder? Hier ist es natürlich nicht anders. Schau, wie schon gesagt, Kolumbien hat Top-Klima für den Coca-Anbau, was schlussendlich zu dem komischen weißen Pulver gemacht wird. Da schaut sehr viel Geld raus, weitaus mehr als aus Kakao oder Bananen. 

Chiquita-Bananen sind bekannt dafür, dass sie über Jahrzehnte gerade einmal 0.04$ pro Schachtel Bananen bezahlt haben. Sie haben auch mit Kartellen zusammengearbeitet und mit den Bananen Kokain nach Europa und die USA importiert. Als großer Konzern können sie es sich leisten, das zu verstecken. 

Nicht mehr. Die Leute wissen Bescheid, und reden darüber. Du kannst deinen Teil dazu beitragen, indem du nicht mehr von solchen Firmen kaufst. Die Kolumbianer werden es dir danken. 

Ein Beispiel aus der Realität

Wie bereits gesagt, alle diese Faktoren und noch viel mehr trugen zu den Konflikten der letzen Jahrzehnte bei. Ich will versuchen, dir das anhand eines Beispiels aus der „echten“ Welt zu erklären. Comuna 13, ein Viertel in Medellín, war vor 20 Jahren der gefährlichste Ort der Welt – aufgrund von Zahlen wie Mordrate, Überfälle, und so weiter. Heute ist es eine Touristenattraktion und der sicherste Ort in Medellín. 

In Comuna 13 ging es nie um Drogen oder Kartelle. Aber die Leute waren arm und es gab keinen Zugang zu Bildung, also mussten sie andere Wege finden, ihr Geld zu verdienen. Sie bildeten Gangs und machten allerhand unschöne Dinge. Die Kriminalitätsrate schoss steil nach oben, und schlussendlich war es der gefährlichste Ort der Welt. 

Das Ganze lief über so lange Zeit, dass es für die Leute in dem Viertel Normalität war. Von klein auf waren die Kinder den illegalen Aktivitäten und Gangs ausgesetzt. Die Kinder träumten davon, der Boss einer Gang zu werden, sie bewunderten sie. Es war alles, was sie kannten, alles, was sie aus ihrer misslichen Lage herausholen könnte. 

Die Leute wussten, dass sich etwas ändern musste. Sie formten Gruppen, arbeiteten hauptsächlich mit der jüngeren Generation und versuchten, gemeinsame Interessen zu finden. Das Ergebnis? Hip Hop, tanzen, Musik und Graffiti. 

Sie arbeiteten weiter. Indem sie die Kids von den Straßen holten und ihnen einen anderen Weg zu leben zeigten, wollten die irgendwann keine Gang-Bosse oder -Mitglieder mehr sein. Ein friedlicher, stiller Protest begann, und immer mehr Leute schlossen sich an. Gangmitglieder legten ihre Waffen nieder und nahmen am Friedensprotest teil, bis die Gangs irgendwann zerbrachen, weil es keine Notwendigkeit mehr gab, keine Gangs mehr, mit denen man sich bekriegen kann. 

Die Geschichte sprach sich herum, und Stars wie Maluma, Karol G und J Balivin drehten Musikvideos in Comuna 13. Nun wurde auch die Regierung aufmerksam und schritt ein, sendete Geld von ausländischen Hilfsorganisationen. Es wurden Schulen gebaut und Lehrer angestellt. Erinnerst du dich, dass ich sagte, dass man in Kolumbien eine Schulabschluss für einen Job benötigt? Es wurde eine Regel aufgestellt, dass jeder in Comuna 13 ein Unternehmen starten kann, solang man aus der Comuna kommt. 

Vor 6 Jahren wurde das Barrio sicher und Tourismus begann, sich zu entwickeln. Heute ist der Tourismus vermutlich die größte Einkommensquelle im Viertel, es gibt also noch weniger Bedarf als zuvor für Kartelle und Gangs. Die Leute haben ihre Unterschiede hinter sich gelassen und arbeiten nun als Einheit zusammen. Ich wiederhole, Comuna 13 ist heute der sicherste Ort in Medellín – das sich übrigens alles in allem sehr sicher anfühlt, auch für mich als alleinreisende Frau. 

Ich bin die Straßen von Comuna 13 tagsüber mit einem Guide und abends allein mit dem Rest der Gruppe gelaufen. Ich hab mich nie unsicher gefühlt, ganz im Gegenteil. Ich fühlte mich willkommen. So, wie immer, seit ich in Kolumbien angekommen bin. 

Was europäische Medien sagen kommt sicher nicht von nirgendwo. Kolumbien ist ein Kriegsland und es gibt immer noch massive Probleme, aber die Leute sind mitunter die nettesten, herzlichsten, und offensten die ich je getroffen hab. 

Wir müssen verstehen, dass es einen Unterschied zwischen den Menschen und der Regierung gibt. Die Medien berichten meistens über die Regierung. Was ich hier sehe sind die Menschen, die ihr Leben leben und versuchen, das Beste daraus zu machen. Menschen wie du und ich, die Liebe, Frieden und Sicherheit als Menschenrechte wollen. 

Man kann ganz einfach hierherkommen und nichts von alldem merken. Ich bin aber nicht so. Ich will lernen und wissen, so viel ich kann. Umso mehr ich erfahre, umso mehr bewundere ich die Leute hier. Obwohl so viel Blödsinn abgeht, sind die immer noch positiv gestimmt und arbeiten aktiv für Veränderung, sind nett und zuvorkommend zu Ausländern und ihresgleichen. 

Wie schon gesagt, das hier ist sehr stark verkürzt und was wirklich passierte, ist weitaus komplexer. Ich hoffe dennoch, dass ich dir die Augen öffnen konnte, nicht nur gegenüber Kolumbien, aber gegenüber der Menschheit. Für mich ist das sicherlich so passiert. 

Danke für‘s Lesen! Und bitte: Kauf keine Chiquita-Bananen. Niemals. 

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