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Eine Erinnerung, warum ich reise

Lesedauer // reading time 7 Min.

Nov, 2024

A travel-themed flat lay with a camera, coffee, and motivational quote.

Ich habe mal wieder ein kleines Loch erwischt. Meine größte Reise bisher geht in weniger als einem Monat los, und mir schwirren so viele Zweifel, Ängste, Fragen und Gedanken im Kopf rum, dass ich mich frage, ob ich die richtige Entscheidung getroffen habe, ob ich das wirklich will, oder ob ich einfach die Idee in meinem Kopf habe, wie toll sowas sein müsste, aber eigentlich trau ich mich gar nicht. Vielleicht will ich es ja gar nicht. 

Ich mach das immer vor einer Reise, egal wie lang oder kurz sie auch sein mag. Ich weiß nicht, warum, aber ich freu mich immer total darauf, bis es dann wirklich ernst wird. In den Tagen davor bin ich nervös, ängstlich und hässlich zu mir selbst, frage mich, warum ich das überhaupt mache, ob es nicht schlauer wäre, daheim zu bleiben, einen Mann zu finden, zu heiraten, Kinder zu bekommen und ein Haus zu kaufen und einfach ein normales schei* Leben zu führen, wie es von der Gesellschaft vorgesehen wird und wie viele meiner Freunde es auch machen. Ich meine, wenn so viele Leute so ein Leben leben, kann es ja wohl nicht so schlecht sein, oder doch?

Nie in meinem Leben hatte ich das Gefühl, dass das für mich wäre. Ich weiß nicht, ob ich jemals Kinder haben will, ich bin glücklich alleine, ich will bei Gott keinen Kredit für ein Haus abzahlen müssen und schon gar nicht in einem Job bleiben müssen nur aus dem Grund. Also warum habe ich trotzdem solche Gedanken? 

Ich schätze, das ist eine Art Schutzmechanismus. Schließlich bin ich hier geboren und aufgewachsen in meinem kleinen österreichischen Dorf, und es ist mein zu Hause, meine Freunde und Familie sind hier und so auch all der Komfort den man sich nur wünschen könnte. Wenn ich diese Gedanken nicht hätte, wäre ich vermutlich schon abgehauen und nie wieder zurückgekehrt, und das will ich auch nicht. 

Ich sprach gerade mit meiner Schwester am Telefon (hab dich lieb!!) und versuchte, ihr zu erklären, was sich in meinem Gehirn abspielt. Oft helfen diese Gespräche, meine Gedanken zu ordnen und heute war das genauso. Wir konnten zwar nicht alle Zweifel und Ängste wegblasen, was vermutlich auch wieder gut so ist, aber die größten – nun ja, ich weiß nun zumindest, wo ich angreifen muss. Während wir telefonierten kam eine Email rein – ich hab mein erstes Kommentar zu einem meiner Artikel erhalten, von einer lieben Freundin. Ich hoffe, ihr beide wisst, was ihr und alles, was ihr für mich tut, bedeutet! Ängste und Zweifel können so überwältigend sein, und so viel glaubwürdiger als Freude oder Hoffnung oder Aufregung. Die letzteren werden ganz einfach von den ersteren überdeckt und verwaschen. Ich muss mich selber daran erinnern, warum ich so gerne reise, und warum ich tief drin weiß, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe, und dass diese Reise die beste Entscheidung meines Lebens ist. Lass mich dich mitnehmen. 

©Wendy Wei

 

 

FREIHEIT

Es hat etwas ganz Besonderes, weit weg von zu Hause zu sein, von allen Aufgaben und Notwendigkeiten und von jedem, den man kennt. Es gibt einem ein gewisses Gefühl von Freiheit, wie es nichts anderes kann. Versteh mich nicht falsch, ich liebe meine Freunde und Familie. Dennoch bewegt man sich in einer so kleinen Blase, der Komfortzone, die immer weiter schrumpft, umso länger man sich darin aufhält. Und anstatt einem Freiheit zu geben, wird man eingeschränkt. Ich finde keine Freude darin, wenn jeder Tag gleich ist wie der davor und der danach. Wenn ich die ganze Woche gefühlt am seidenen Faden hänge, nur um am Wochenende ein paar Tage Ruhe zu haben. Ich finde Freude und Freiheit dann, wenn ich meine Komfortzone verlasse und tun kann, was ich will, wann immer ich will.

ABENteuer

Hier könnte ich dasselbe schreiben, wie beim vorigen Punkt. Vieles deckt sich natürlich. Also lass es mich hier einen Schritt weiter bringen: Es gibt nichts, dass mich lebendiger fühlen lässt, als an einem Ort zu sein, an dem ich noch nie zuvor war. Die überfüllten Straßen einer neuen Stadt entlang zu spazieren, an einem menschenleeren Strand wie ein verrücktes Huhn herumrennen, auf Berge wandern, der Sonne beim Auf- und Untergehen zusehen, zu sehen, wie andere Leute leben, eine Unterhaltung mit Händen und Füßen führen, weil die Sprachbarriere es so verlangt, mich in öffentliche Verkehrsmittel quetschen, verzweifelt versuchen, herauszufinden, wie man Tickets aus dem Automaten bekommt oder mich blamieren indem ich die Schlange an der Kasse aufhalte, weil ich keinen Plan davon hab, wie viel die lokale Währung wert ist. Neues ausprobieren, am Limit leben und im Schatten einer Palme sitzen in der Hoffnung, dass dich keine Kokosnuss trifft, Karten oder Jenga mit einem Haufen Fremder spielen oder allein in einem Restaurant essen. 

MENSCHEN

Es scheint, als würde ein Grund zum nächsten führen. Die Menschen, die du auf Reisen triffst, sind auf einem anderen Level. Manchmal klickt man einfach, und es ist, als würde man sich das ganze Leben und das davor kennen. Als wäre es vorbestimmt, dass man sich trifft, und dass es immer so bleiben würde – und dann bricht der Kontakt ab. Doch manchmal passiert das nicht, und das ist es wert. Wenn du das liest und dich fragst, ob du einer von diesen besonderen Menschen bist, ist die Antwort ziemlich sicher ja. Und ich bin froh, dich zu haben ♡ Lucie, beispielsweise: Wir trafen uns in Mallorca, beide alleinreisend, und wir klickten. Zwei Monate später sprachen wir immer noch regelmäßig, und eines Tages fragte sie mich, ob ich Lust hätte, sie auf eine Reise nach Neuseeland zu begleiten. Spoiler-Alarm: Oh ja, und wie! Oder Sam: Wir lernten uns in Thailand kennen und schon nach wenigen Sätzen war ich der Meinung, dass wir uns sehr ähnlich sind. Wir kommen aus zwei völlig verschiedenen Ländern, lebten zwei völlig verschiedene Leben, und dennoch, irgendwie, sind unsere Charakter nahezu gleich. Je mehr wir uns unterhielten, umso mehr bemerkten wir das. Und es geht heute noch weiter. 

Und dann gibt es noch die weniger offensichtlichen Begegnungen. Es gibt denn Kassierer, der dir zuzwinkert, den Kellner, der dein Spanisch lobt, der hübsche Typ an der Bar mit dem du Augenkontakt hattest aber dann doch zu schüchtern warst, hinzugehen, die alte Frau, die dir etwas zu erklären versucht aber deine Sprache nicht spricht, der Busfahrer, der dich weckt und daran erinnert, dass du hier aussteigen musst, oder die Gastgeberin, die einfach so herzlich ist und immerzu gerne hilft. 

natur

Als ich mit dem Reisen anfing, machte ich, was die meisten Leute tun. Ich schwamm mit dem Strom und fand mich in Stadt nach Stadt nach Stadt, und darin abwechselnd in Museen und Bars. Im Bus oder Zug zwischen den Städten sah ich aus dem Fenster und fragte mich, wie es wohl wäre, jetzt dort draußen in der Natur zu sein. Also verließ ich die Städte langsam aber sicher immer weiter, raus in die Natur. Ich packte Wanderschuhe ein und machte kleinere Wanderungen allein. Ich fing an, Hostels zu suchen, die außerhalb der großen Städte sind, und traf dort auf Gleichgesinnte, die mich auch auf größere Wanderungen mitnahmen. Heute bin ich weitaus lieber in kleineren Städten und Dörfern als in Städten, bin lieber in der Natur. Diese Welt hat so viel zu bieten, und kaum etwas davon finde ich in Beton-Dschungels. Manche Orte sind leicht zu erreichen, andere wiederum weniger. Aber noch nie war ich draußen in der Natur und dachte mir „oh Mann, ich wär grad so viel lieber in einem Museum und würd über das lesen, anstatt hier zu sein und es zu erleben“. 

lernen

Ist es eine lebenswichtige Fähigkeit, die U-Bahn-Karten von drei unterschiedlichen Städten gefühlt ins Gehirn gebrannt zu haben? Oder zu wissen, wie man Hallo und danke auf 30 verschiedenen Sprachen sagt? Auf der linken (= falschen) Straßenseite fahren zu können oder zu surfen oder Wanderkarten zu lesen oder mit nur 3 Wörtern plus Hände und Füße eine Unterhaltung zu führen oder ohne auch nur einen Fuß reinzusetzen zu wissen, ob es ein gutes Restaurant ist oder nicht? Nein. Aber schadet nicht. Es ist ein guter Gesprächsstarter und noch bessere Erinnerungen. 

Wachsen

DAS IST ES. Du wächst als Person, indem du Probleme löst. Und wenn du reist, vor allem allein und noch eher als Frau, bist du tagein, tagaus mit Problemen konfrontiert. Sei es herauszufinden, wo du als nächstes hin willst und wo du schläfst oder wie du dort hin kommst, oder wie du von dem schrägen Typen wegkommst, oder wie man ein Gespräch aufrecht erhält, oder wie du bei der Sicherheitskontrolle selbstbewusst wirken kannst, obwohl deinen Herzschlag bis zum Haaransatz spürst. Das ist es, was dich als Person wachsen lässt. Und ich glaub ganz fest daran, dass es nichts Wichtigeres im Leben gibt, als herauszufinden, wer und was du bist, weiter zu wachsen, und wieder von vorn zu beginnen. 

essen

Wie könnte ich das auch nicht erwähnen. Nein, ein Pad Thai in Österreich ist nicht mal halb so gut wie das Original. Ja, ich mochte die Pizza zu Hause, bevor ich in Italien war. Nein, ich hatte nicht die leiseste Ahnung, wie gut eine Mango frisch vom Baum schmeckt (vor allem mit einer Beilage von Sticky Rice…). 

 

 

 

 

 

 

 

Augen und Seele öffnen

Lass mich diesen Beitrag mit einem ernsten Thema beenden. Umso mehr ich reise, umso mehr merke ich, wie schei* privilegiert ich eigentlich bin, als weiße Zentraleuropäerin. Ich meine, wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich hier geboren wurde. Ich hielt so vieles für selbstverständlich. Umso mehr ich reise, umso mehr merke ich, dass sie das nicht sind. Den netten Kellner zu sehen, wie er ums Haus geht und in eine Baracke, die schon halb zerfallen ist, lässt mich zu schätzen wissen, ein stabiles Dach überm Kopf zu haben. Die Obdachlosen auf der Straße im tiefsten Winter zu sehen, ebenso. Mit Frauen zu sprechen, die keine Jeans außerhalb ihrer Häuser tragen können, weil ihre Kultur das für unangemessen hält, während ich Jeans einfach nur unbequem finde… lässt mich dankbar sein, wie offen Europa ist und wie frei ich mich als Frau hier bewegen kann. In einer Stadt zu sein, in der man nachts nicht alleine unterwegs sein soll, macht mich dankbar, für wie sicher es hier ist. Und: Herauszufinden, dass es im Finnischen 16 Fälle gibt, lässt mich die deutsche Sprache zu schätzen wissen. 

Ich könnte noch ewig so weiter machen. Erstmal ist meine Reisemotivation wieder entfacht. Ich hoffe, deine ist es auch. Lass mich gern wissen, was deine Seele scheinen lässt, in den Kommentaren oder per Mail. 

Danke, dass du bis zum Ende gelesen hast ♡

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