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Am Limit – Probleme verschwinden nicht so einfach

Lesedauer // reading time 4 Min.

Jun, 2024

*TRIGGER WARNUNG – Dieser Artikel erzählt von psychischen Problemen. Wenn es dir zur Zeit nicht so gut geht, empfehle ich dir, diesen Artikel zu überspringen oder ein anderes Mal wieder zurückzukommen. 

Warum ich diesen Artikel schreibe? Weil psychische Probleme und Erkrankungen ernstgenommen  und verstanden werden sollen. Es fühlt sich komisch an, solch private Erfahrungen zu veröffentlichen, sodass jeder es lesen kann. Dennoch fühlt es sich auch richtig an. Ich habe meine Panikattacken mittlerweile recht gut im Griff und kann ganz gut damit leben. Aber am Anfang brach die Welt für mich zusammen. Vielleicht liest das ja jemand, der sich damit besser verstanden und weniger alleine fühlt. Außerdem will ich ehrlich sein – und ehrlich ist nun einfach nicht immer schön. Aber es ist echt. Es gibt mehr als genug Masken und Verpacktes auf der Welt, und ich will nichts davon sein.

Die letzten Monate musste lernen, mit Panikattacken umzugehen, oder es zumindest versuchen. Es überfiel mich. Von einem Tag auf den nächsten konnte ich nicht mehr allein und ruhig sein. Ich konnte mich ganz normal fühlen, und innerhalb einer Sekunde, ohne spezifischen Auslöser, war ich mir sicher, dass ich genau jetzt sterben würde. 

Es ist der Tag vor meiner Reise. Ich werde gehen, komme, was wolle. 

Ich fühle mich gut. Ich war ziemlich ruhig am Flughafen und auch im Flieger. Zumindest bis mich die Stewardess weckte und ich total schockiert war, weil ich mit meinen Kopfhörern und Musik in den Ohren nichts hören konnte. Sie gab mir ein Papiersäckchen mit einer kleinen Flasche Wein, ein paar Snacks und Schokolade und entschuldigte sich bei mir, dass sie nicht früher erkannt haben, dass heute mein Geburtstag war. Also schauen sie sich wirklich genau an, wer im Flieger sitzt. So eine nette Geste. 

Im Bus nach Shkoder spürte ich dann doch schon etwas Druck in der Brust. Ich spazierte durch die Stadt und wusste schon nach kurzer Zeit, ich musste umkehren und rasten, um Panik zu vermeiden. Ich fühlte mich völlig sicher, und ich wusste, dass ich das auch war. Genau das ist der Punkt. Meine Panik ist irrational und egal, wie sicher ich mir dessen bin, es ist trotzdem da und es fühlt sich trotzdem so real an. Das macht es so schwierig, damit umzugehen. 

Der nächste Tag war ein weiterer Reisetag. 2 Stunden im Bus, 3 auf der Fähre und noch eine im Bus um nach Valbone zu kommen, wo die Wanderung starten würde, die ich schon machen wollte, als ich vor 2 Jahren schon mal in Albanien war. Wir übernachteten in einem super schönen Gästehaus mit den allernettesten Gastgebern, und ich konnte endlich wieder einmal durchatmen. Ich genoss die Stille, die Berge, und vor allem, dass es hier nichts zu tun gab, außer mein Buch zu lesen, mich mit Leuten zu unterhalten und den Jungs beim Fußballspielen zuzusehen. 

Dann kam der Tag der Wanderung. Mein Puls stieg sofort steil an. Teilweise, weil ich motiviert war und einfach viel zu schnell auf einer recht steilen Stelle startete. Und teilweise, weil mein Körper keinen Unterschied kennt zwischen steigendem Puls wegen Anstrengung und steigendem Puls wegen Panik. Ich konnte es nicht kontrollieren. Ich konnte es auch nicht verstehen, immerhin trainierte und wanderte ich seit Jahren und ich hatte weitaus mehr Workouts als Panikattacken. Ich konnte meine Atmung nicht mehr kontrollieren. Natürlich war ich viel zu stolz, irgendjemandem Bescheid zu sagen, also ging ich einfach alleine weiter und hoffte, dass ich es schaffen würde. Ich war nicht schneller als eine Schildkröte, einen Fuß vor den anderen, wieder und wieder, kurze Pausen alle paar Schritte. Ich sah wohl ziemlich fertig aus, denn die Dame, die mich überholt hat, schien recht besorgt als sie mich fragte, ob alles okay sei. „Wird es sein“, sagte ich, und versuchte zu lächeln. 

Den ganzen Weg lang kämpfte ich gegen die Panik. „Bitte bloß nicht jetzt“, hoffte ich, es gab keine andere Option als über den Berg. Ich hatte wohl 3 oder 4, vielleicht 5, Panikattacken. Kurze, aber es ist trotzdem kräftezehrend. Dagegen anzukämpfen, und auch die Attacken selbst. 

Ich bog um eine Ecke und der Weg wurde endlich flacher. Ich konnte niemanden sehen oder hören, alles, was ich sah, waren die felsigen Gipfel um mich herum und die kühle Brise in meinem Gesicht. Ich fühlte mich so klein und genauso meine Probleme. Ich setzte mich auf einen Stein im Schatten, und weinte. Ich konnte die Tränen nicht länger zurückhalten, ich wollte auch nicht. Das hier war der richtige Ort, und die richtige Zeit, und wo würde man schon lieber weinen als inmitten der Berge. Minuten vergingen, und ich fühlte, wie das Gewicht auf meiner Brust leichter und leichter wurde. Ich fand den perfekten Ort zum Weinen und ich machte das Beste daraus. 

der perfekte Ort zum Weinen, oder nicht?

Als ich schließlich weiterging, hatte ich ein Lächeln im Gesicht, ich konnte endlich wieder atmen. Ich ging den Rest des Weges in normaler Geschwindigkeit, was immer noch vergleichsweise langsam ist, aber ich wusste, ich war zurück. Für’s Erste zumindest. Eine halbe Stunde später hatte ich den Rest der Gruppe am Gipfel eingeholt. 

Es war nicht die körperlich schwierigste Wanderung, die ich bisher gemacht habe. Doch das machte es nur noch schwieriger, so langsam gehen zu müssen, aber ich hatte keine andere Wahl. Ich wusste, ich würde den Weg nicht schaffen, wenn ich zu schnell bin. Ich musste jeglichen Stolz und jegliche Motivation loslassen, und vor allem den Druck, den ich mir selber machte. Letzteres war bestimmt das schwierigste.

Am nächsten Morgen war alles gut., zumindest bis ich bei Frühstück überhörte, wie jemand von einem Typen im Zimmer erzählte, der die ganze Nacht am Klo verbrachte. Ich wusste, das war wegen des Alkohols letzten Abend, dennoch fing mein Kopf an zu rattern und ich wurde ängstlich. Ich fiel in eine Gedankenspirale und nahm eine meiner Notfalltabletten, die ich heutzutage immer bei mir habe. Ebenso eine Papiertasche, für den Fall, dass ich hyperventiliere. Reisegepäck ändert sich, wenn man mit unberechenbaren, unkontrollierbaren Panikattacken unterwegs ist. Die Aussicht auf die Berge, die ich eben noch so genossen hatte, fing an zu verschwimmen, und die Geräusche der Leute um mich herum wurden unterdrückt vom Rattern der Gedanken in meinem Kopf, über das ich keine Kontrolle mehr hatte.

Ich schlief den größten Teil der dreistündigen Busfahrt zurück. Und entschied mich, die Reise abzubrechen. Es hätten 10 Tage sein sollen, und ich war gerade mal 4 Tage hier. Aber es hatte keinen Sinn, so nicht. Es hatte keinen Sinn, jetzt hier zu sein, weil ich jede Kleinigkeit genau abwägen musste. Ist es gut für mich oder wird mir das zu viel?

Ich dachte erst, das würde sich anfühlen als hätte ich versagt, weil ich früher nach Hause fahre. Aber das tat es nicht. Ich startete diese Reise mit dem Wissen im Hinterkopf, dass ich nicht Okay war, aber ich wollte es trotzdem versuchen. Ich hab das Beste draus gemacht, so, wie es mir damals möglich war. Ich habe nicht versagt. Ich habe gewonnen. Ich habe viel gelernt, hauptsächlich, dass das Reisen immer noch etwas ist, was mir gut tut und was ich machen will. Es war einfach nicht der richtige Zeitpunkt, und das ist in Ordnung.

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